Kneipe "Joe's"

Urgh. Es gab wohl nichts widerlicheres auf dieser Welt, als sich an die Fersen von irgendwelchen alten Säcken zu hängen. Führ dir das Gute vor Augen, erinnerte sich Dolly. Klar, für das was sie tat, dankte ihr dann eine freiwerdende Seele. Und außerdem hatte sie sich das Ganze so ausgesucht. Aber konnte es denn nicht einmal schöne Täter geben? Vielleicht welche, die auf Racheengel standen? Nein, natürlich nicht. Da oben siebten sie die Fälle aus und Gwendolyn, die als kleine missverstandene Nervensäge galt, bekam natürlich Fälle der untersten Schublade.
Die Dunkelhaarige neigte den Kopf zu ihrem Sitznachbar, ohne diesen dabei anzusehen. Sie hatte keine Lust auf lange Spielchen. "Ich denke, es ist Zeit zu gehen."
Der Typ grinste sie schmierig an. "Zu dir oder zu mir?"
"Zur Hölle", grinste sie zurück und streichelte ihm mit der Hand durch das fettige Haar, ehe sie mit dem Zeigefinger an seiner Schläfe verweilte. Einen kurzen Moment nur, indem seine Augen erstarrten und sein Kopf knallte auf dem Tresen. Hart aber gerecht.
"Was zum-" Der Barkeeper stoppte beim Gläserspülen.
Gwendolyn zuckte mit den Schultern. "Ich glaube, da hat wohl jemand zu viel getrunken."
Jep. Fall gelöst. Opfer gerächt. Langsam sehnte sich Gwendolyn nach einer schwereren Aufgabe. Aber erst einmal würde sie einen auf die erlöste Seele trinken. "Einen Cherry, bitte."

Meine Haare wirbelten umher, als mich ein kalter Windzug erwischte. Wie immer war New York in heller Aufregung - und somit war es umso leichter niemanden aufzufallen. Ich war für Menschen sichtbar. So wie immer, wenn ich grade nicht im “Einsatz” war.
Doch das passierte selten in der Stadt, die nie schlief.
Ich schob die Hände in die Jackentaschen meines schwarzen Mantels und gähnte einmal laut auf.
Wenn ich ganz ehrlich sein sollte, dann war mir schrecklich langweilig. Ganz brav Mensch zu spielen machte mir wenig Spaß - immerhin wusste ich, was da draußen auf mich wartete.
Und ich hasste Nachmittags Trash-TV.
Wie jedes Mal wenn ich einen freien Tag hatte, ging ich, anstatt in meiner Wohnung zu hocken, in ein paar Bars - heute war “Joe’s” dran. Mal sehen, wie sie durch den Warentest “Tessa” kommen würde.
Als ich eintrat setze draußen ein sanfter Nieselregen ein. Und ich sah einen Engel.
Nein, ich stand nicht unter Drogen. Ich sah ganz einfach nur einen Engel.
Das war das gute an uns sogenannten Seelensammlern. Wir konnten auch in menschlicher Form das Übernatürliche erkennen.
Ich zog eine Augenbraue hoch, dann setzte ich mich auf einem Hocker an der Bar. Das Leder gab sank ein kleines Stück unter meinem Gewicht ein.
“Ich frage mich, welcher Glückliche wohl seine Seele wegräumen darf”, murmelte ich mit einem Seitenblick auf die Leiche, die zwischen dem Engel und mir saß/lag/verottete.
Was weiß ich, weshalb sie den Menschen getötet hatte. Vielleicht war sie ja in Sachen “Rache” zuständig.

Gwendolyn schwenkte den Cherry lustlos im Kreis, ehe sie ein paar Schlucke tätigte. Wenn sie doch wenigstens einem Dämon den gar aus machen konnte, dann wäre sie schon um einen Deut zufriedener. Vielleicht bekam sie ja mal einen zur Belohnung dafür, dass sie oben so gewissenhaft gearbeitet hatte. Menschen wurden nach einer Zeit langweilig. Sie stellten keine Bedrohung dar, waren so zerbrechlich. Ein Fingerschnippen und alles war erledigt. Das einzig Lustige dabei war, dass man Menschen so schnell verunsichern, sie gar zum Wahnsinn treiben konnte, wenn man die kleinen Zauberkünste der Engel anwendete. Aber weil das sogar nicht Engel-like war und sich eher Dämonen mit sowas abgaben, war das auch schon wieder gestrichen.
“Ich frage mich, welcher Glückliche wohl seine Seele wegräumen darf."
Gwendolyn wendete sich hastig der Stimme zu. Sie ging von einer Dunkelhaarigen aus, die anscheinend nicht sehr bestürzt darüber war, neben einem Untoten zu sitzen.
"Er hat's verdient", antwortete der Racheengel schulterzuckend. Nun war es daran misstrauisch zu werden. Was machte jemand wie sie in einer Bar wie dieser, wo sich doch bloß heruntergekommen Gestalten versammelten, die sowieso nichts mehr zu verlieren hatten?
Doch für etwas Übernatürliches sah sie so ziemlich normal aus. Wobei das gerade das Gefährliche an supranatural Wesen war - dass nichts an ihnen böse wirkte.
"Was bist du überhaupt?", fragte Gwendolyn schließlich aus dem Bauch heraus und fixierte eine Haarsträhne hinter dem Ohr, um sie besser erkennen zu können. Gwendolyns Gesagtes mochte vielleicht unhöflich klingen, aber Gewissenheit war ihr im Moment lieber, als dass sie sich wohl möglich noch mit einem Dämon gut stellte.

“Er hat’s verdient”
Wow, das kam sofort auf den Mini-Kalender mit den gute Laune Sprüchen des Jahres. Ich wandte den Blick zu der jungen Frau, die recht unbekümmert mit dem Glas in ihrer Hand spielte. Das Getränk schwappte hin und her - dem Aussehen nach musste es wohl irgendwas alkoholisches sein.
Okay, wir waren in einer Bar, voll mit schmierigen Typen. Was sollte ich anderes erwarten? Erdbeersaft? Schon auf den ersten Blick konnte man sich denken, wer hier ab und zu betrunken unter den Tischen lag.
“Warum so positiv?”
…Pure Ironie eigentlich, diesen Spruch von einem Sensenmann zu hören. Darüber musste ich schmunzeln.
Als der Engel mich danach frage, was ich war, wandte ich mich ganz zu ihr und lächelte freundlich, wenn auch leicht verschlossen.
“Ein wenig direkt diese Frage, oder?” Ich sah zum beschäftigten Baarkeeper, dann zu den vollgedröhnten Kunden. Ach, was soll’s? Sie war ein Engel. Vielleicht ein Racheengel, aber hey, Flügel waren Flügel.
“Ein Todesbringer”, meinte ich knapp. “Du bist auf Rache spezialisiert, was?”

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Sorry, unkreativ
Na dann - ich muss weg.

Die erste Frage ignorierte Gwendolyn lieber. Sie war nun wirklich nicht dafür gestimmt, etwas Schlechtes auch noch zu verherrlichen. Der Kerl hatte es verdient ohne Zweifel. Und immerhin hatte sie sich sogar kurzgefasst und ihn nicht einmal leiden lassen. Kurz und schmerzlos eben.
"Todesbringer", murmelte Gwendolyn anerkennend. "Dann tut es mir ja fast Leid, dass ich dir die Arbeit abgenommen habe."
Und hätte Gwendolyn sich nicht völlig in ihrem Menschensein fallen lassen, dann hätte sie wahrscheinlich auch gesehen, dass die anscheinend normale Frau alles andere als normal war. Vor allem alles andere als normal aussah. Ob Todesbringer nicht auch irgendwie zu Dämonen gehörten?
"Jep. Wahrscheinlich das einzig Nützliche, was man hier unten machen kann", meinte die Dunkelhaarige auf die Fragen bezogen, ob sie auf Rache aus sei. Irgendjemand musste sich ja für Gerechtigkeit sorgen. Und dass die Gerichte der Umgebung das richtige Urteil fällten, war schwer zu bezweifeln. Das lief von Engelshand viel besser. "Und was macht man als Todesbringer so?"
Den Tod bringen wahrscheinlich, was auch sonst. Gwendolyn musste sich eingestehen, dass sie reichlich wenig über andere Wesen wusste. Sie ahnte gerade mal, wie man sich gegen Dämonen zu wehren hatte. Vielleicht ein starker Punkt, der die da oben davon abhielt, ihr höhere Aufgaben zuzuschieben. Aber irgendwann würde sie es auch noch schaffen, höher gestellt zu werden. Das nahm sie sich fest vor.

Auf meine erste Frage bekam ich keine Antwort - aber das störte mich keineswegs. Ich hatte nichts anderes erwartet.
“Hast du nicht” Ein winziges Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich stützte die Arme auf dem Tresen. “Wir sind nur diejenigen, die später die Seelen einsammeln dürfen”
Rache war also das einzig Richtige hier unten? Ich hatte schon mal ein paar Engel gesehen - und die waren herumstolziert wie irgendwelche… Prinzen. Und dabei waren sie doch eigentlich alle Soldaten.
Oder? Das war ja schließlich nur das, was man als Seelensammlerin so hörte. Und in der Geisterdimension auch ab und zu sah.
Ja, es war ätzend zwischen all den Menschen zu hocken und darauf zu warten, dass der “Berufsalltag” wieder startete, aber was sollte ich tun? Ein Freund von mir kümmerte sich grade um diesen Bereich von New York. Wahrscheinlich war er grade anwesend und erklärte dem Typen, dessen schmieriger Körper grade den Tresen vollsabberte, was passiert war.
Nur zu gut konnte ich mir die Augen des Typen vorstellen, wenn er das Wort “Racheengel” hören würde.
“Was wir machen?” Flink fuhr ich mir durch das dunkelbraune, ja fast schwarze Haar. Für einen Engel wusste sie aber sonderlich wenig… “Hast du dich noch nie gefragt, was mit einer Seele passiert, wenn ein Mensch stirbt? Sie fliegen nicht von allein in den Himmel - oder eben die Hölle”
Der Barkeeper funkte mir in meinem kleinen Vortrag dazwischen. Er stellte sich überaus dramatisch vor den toten Kerl und wandte seinen Blick mir zu.
“Was darf’s sein?”
Wow, da hatte aber jemand gute Laune gefrühstückt. Ich wandte mich dem Typen zu, der wunderbar in diese Kneipe passte, und lächelte.
“Ein Jack Daniels, bitte”